MoonGuy hat geschrieben:aber bei den Älteren liegt es einfach daran, dass sie so selten in ihrem Alltag lesen oder schreiben.
Wie geht das?
Also wie kann man im Alltag nicht lesen oder schreiben? Schreiben, meinetwegen, ich schreibe auch fast nur am Computer. Viele haben keinen Computer. Aber lesen? Ich lese absolut durchgehend. Zettel in der Post, Hinweisschilder, Zeitung, Internet, Zitattexte im TV (inkl. Kennzeichnung). Überall sind Buchstaben, überall ist Text, über all sind kleine Hinweise, wie irgendetwas funktioniert, was man darf, soll oder was verboten ist, sogar an den Türen steht, ob Du drücken oder ziehen musst.
Mich nervt, dass es überall Text gibt, es für jeden Scheiß ein Schild gibt, weil ich das alles lese, weil es mich regelrecht anspringt und schreit "LIES MICH!", denn solange ich es nicht gelesen habe, weiß ich ja nicht, ob der Text für mich wichtig ist oder nicht. Und in den seltensten Fällen interessiert er mich. Ich lese dann "Kundenparkplatz - Parken nur für Kunden von ...", "Parkplatz wird eine Stunde nach Ladenschluss abgeschlossen", "Behindertenparkplatz", "Wir müssen leider draußen bleiben", "Wir suchen eine zuverlässige/-n Kassenhelfer/-in", "Öffnungszeiten Mo-Sa: 8:00 bis 22:00" und dabei bin ich nur über den Parkplatz gegangen und noch nicht mal im Laden angekommen, wenn ich "EINGANG" auf der einzigen Tür lese, damit nicht die auf die Idee komme, ein Loch in die Wand zu schlagen.
In meinem Auto klebt ein Zettel, dass ich mit Winterreifen nicht schneller als 210 fahren darf. Mein Auto hat eine Höchstgeschwindigkeit von 207 laut Papieren. Ich bin mal auf 211 laut Navi gekommen. Der Aufkleber ist vollkommen sinnfrei, aber er ist da und klärt mich auf, dass ich nicht schneller fahren darf, als ich fahren kann.
Überall steht irgendwelcher Text. Wie kann man im Alltag selten lesen, wenn man einmal lesen konnte?
Das ist doch wie hören verlernen, nur weil soviel Mist gequatscht wird, den man nicht hören will.
MoonGuy hat geschrieben:Es ist für sie zu lange her. Wobei ich eigentlich davon ausging, dass dieses Phänomen nur bei Fremdsprachen auftritt, also das Leute irgendwann mal ihr Englisch vergessen, weil sie es nie benutzen, aber das man Lesen und Schreiben verlernt ist sicher auch nicht unmöglich. Ich merke ja jetzt schon nach einem Jahr Pause, dass ich schon fast gar kein Latein mehr beherrsche.
Das ist eine Fremdsprache, die Dir nicht mehr jeden Tag über den Weg rennt, die Dir eigentlich nur in der Schule über den Weg gelaufen ist. Wenn man 20 Jahre im Ausland lebt und dann nicht mehr dialektfrei Deutsch spricht oder Wörter durcheinander wirft oder vergisst, das ist ja vollkommen okay. Aber die Analphabeten leben in Deutschland und sind jeden Tag mit ihrer Muttersprache und Texten in ihrer Muttersprache konfrontiert.
Bleibt also nur, dass sie nicht richtig schreiben und lesen gelernt haben.
Ich weiß, dass sich Analphabeten häufig schämen, weil Lesen eine Fähigkeit ist, die ja quasi alle können und sie sich deswegen oft keine Hilfe suchen, um lesen zu lernen.
Aber 300'000 Vollanalphabeten? Das finde ich heftig - und da sind die Kinder und alten Leute ja gar nicht dabei gewesen. Es geht ja nur um die, die regulär arbeiten gehen könnten.
Mich hätte da mal die Verteilung interessiert. Ob das vorrangig Kinder, die kurz nach dem Krieg geboren wurden und zu einer Zeit arbeiten waren, als man noch vorrangig mit den Händen angepackt haben und statt den Spiegel zu kaufen, das Geld lieber in die Kneipe gebracht haben, wie es in den guten alten Zeiten Brauch war oder ob es vorrangig Jugendliche sind, deren Interesse an Schulbildung nicht mit ihrem Interesse an der Spielkonsole mithalten konnte.
PS: Der Spiegel hat diese Woche wohl die Bildzeitung als Aufmacher. Ich glaube, die Kritik ziehe ich mir mal rein.